Von der Palliativstation...
Herr U. und seine Verwandlung - Zum Schmunzeln
»Ich spiele für Sie«
Herr U. ist noch nicht lange auf der Station und ein bisschen durcheinander. Als ich komme, gibt es einen lautstarken Aufruhr. Der Krankenpfleger Kurt klärt mich auf: Herr U. hat gerade die Ärztin beschimpft und aus dem Zimmer geschmissen. Kurt wurde auch schon beschimpft und rausgeschmissen und sagt zu mir: „Da hast du keine Chance, der schmeißt dich sowieso sofort raus.“
Ich schmunzle und überlege schon, wie ich ihm begegnen kann. Dann stelle ich mich vor seine offene Zimmertür und spiele Sansula (eine sanfte, schöne Melodie). Ganz langsam, Schritt für Schritt gehe ich spielend in das Zimmer. Herr U. sitzt im Bett und hat mich noch nicht als Störung wahrgenommen. Spielend und betont langsam sage ich zu ihm: „Guten Tag Herr U., ich bin Gisela Wilbrand.“ Jetzt reagiert er, schaut mich böse an und ruft laut und aggressiv: „Was wollen Sie von mir, lassen Sie mich in Ruhe.“ Ich spiele weiter und antworte wieder sehr langsam: „Ich möchte gar nichts von Ihnen, aber vielleicht kann ich etwas für Sie tun, wenn Sie möchten.“ – Pause. – Herr U. horcht auf. Ich sage: „Mögen Sie Musik?“ Herr U. raunzt unfreundlich und abweisend mit tiefer Stimme: „Jaa“. – Pause. – Ich zögere meine Reaktion etwas heraus, damit die Sansula weiter wirken kann und sage dann: „Gefällt Ihnen das?“ Herr U. raunzt wieder: „Ja“. Diesmal nicht mehr ganz so unfreundlich und abweisend. Dann sage ich nichts mehr, sondern spiele und singe dazu und beobachte ihn. Die Klänge und der Gesang scheinen ihn zu besänftigen. Und nach ca. 15 Minuten ist er eingeschlafen. Leise verlasse ich das Zimmer und mache meine Runde weiter.
Ca. eineinhalb Stunden später treffe ich Kurt auf dem Gang. Er strahlt mich verschmitzt und fragend an und sagt: „Sag mal, was hast du denn mit Herrn U. gemacht? Er ist ja wie ausgewechselt, extrem freundlich und bedankt sich für alles, was ich tue.“ Ich freue mich und muss lachen.
Frau P. und ihr Besuch geben ein Konzert
»Wir spielen zusammen«
Frau P. hat viel Besuch, ihr Mann, eine Freundin und noch ein befreundetes Ehepaar sitzen in ihrem Zimmer. Sie sind zwar ein wenig skeptisch, möchten aber doch ein gemeinsames Experiment wagen. Als erstes bekommt Frau P. für einige Minuten eine feine Kopfmassage mit an Bändern aufgehängten Nüssen mit Wasserplätschergeräusch. Ihr offensichtliches Genießen wird von den Anwesenden mit Staunen leise wohlwollend kommentiert. Jetzt bekommen alle Besucher und Besucherinnen diese „Wasserplätscherkopfmassage“. Zwischendurch biete ich Instrumente zum selber spielen an, die mit offensichtlicher Freude und von einigen Zwischenrufen und Lachen kommentiert, ausprobiert werden. So baut sich nach und nach eine Improvisation auf, die immer voller und schöner wird.
Dann spielen sie noch ein gemeinsames Abschlusskonzert und ich singe ein bisschen dazu. Alle Anwesenden sind sehr bei der Sache und haben hörbar Spaß. Die Stimmung im Raum ist freudig, konzentriert, staunend und entspannt. Die Musik die sie alle zusammen spielen ist harmonisch und wunderschön, obwohl niemand sonst ein Musikinstrument spielt. Ein Besucher, der die Oceandrum spielt, schafft es tatsächlich, nebenbei mit seinem Handy ein Video davon aufzunehmen.
Als wir zum Ende kommen, applaudieren alle kräftig und anhaltend füreinander. Sie sind sehr begeistert und berührt, einschließlich mir. Frau P. sagte: „Mein Gott, was einem hier alles geboten wird.“ Als ich eine Woche später zu ihr gehe sagt sie, „Wissen Sie eigentlich, dass das für Alle etwas ganz Besonderes war?“
Indianergeschichten
»Wir spielen zusammen«
Im Gespräch mit Herrn X. fragt er nach einer Trommel. Ich gebe ihm die Rahmentrommel und einen Schlegel und er trommelt einen regelmäßigen Puls. Er sagt: „Ach, ich kann das gar nicht“. Dabei macht er es sehr gut. Nach einer Weile biete ich ihm an, dazu eine Indianerflöte zu spielen. Das findet er gut. Wir spielen so eine ganze Weile. Nach der Flöte singe ich noch zu seiner Trommel. Herr X. ist tief versunken und mit sich beschäftigt, aber voll bei der Sache.
Nach dem Spielen erzählt er, dass er als Kind nie gelesen habe, auch nicht für die Schule. Nur Indianergeschichten habe er mit großer Begeisterung gelesen und zwar alle, die er finden konnte. Die Trommel zusammen mit dem Flötenspiel und dem Gesang haben ihn in diese Indianergeschichten versetzt. Er war sehr berührt und ganz sanft und noch einmal in einem schönen kraftvollen Teil seiner Kindheit.
...und aus dem Hospiz
Herr S. liebt Musik, vor allem Volkslieder
»Wir singen Ihre Lieder«
Herr S. hat Besuch von seiner Frau. Eigentlich ist er müde, weil er schon viel Programm hatte an diesem Tag. Aber sein Interesse an Musik und an den Instrumenten, die ich mitgebracht habe, ist größer. Er möchte die Flöte hören und ich spiele ihm vor. Er applaudiert begeistert. Dann stelle ich ihm das Rav Vast (Handpan: ein Ufo aus Metall mit Klangfedern) vor und wieder freut er sich sehr und applaudiert. … Seine Frau beobachtet ihn mit Staunen.
Herr S. hat immer gerne gesungen, auch im Männerchor und so singen wir alle drei zusammen Volkslieder, die mag er besonders gerne. Er wünscht sich: Kein schöner Land in dieser Zeit und singt müde, aber voller Freude mit. Als nächstes singen wir: Der Mai ist gekommen. Jedoch ist er so erschöpft, dass er während des Liedes einschläft. Seine Frau und ich singen zu Ende und in der Stille wacht er wieder auf. Als ich ihn darauf aufmerksam mache, dass er doch jetzt vermutlich Ruhe brauche, winkt er ab und möchte noch ein Lied. So geht es noch drei Lieder weiter. Er freut sich so sehr über die Musik und das Singen, dass er überhaupt kein Ende finden kann, obwohl er bei jedem Lied einschläft.
»… dem Himmel schon ganz nah«
Klangmassage
Frau K. wirkt sehr zart und klar, eine richtige Dame. Sie scheint zu leuchten, wie sie da in ihrem Bett liegt. Nachdem ich sie mit der „Himmel und Erde“, ein Saiteninstrument, das auf den Körper aufgelegt werden kann, bespielt und dazu gesungen habe, sagt sie begeistert und mit leuchtenden Augen: „Ich war dem Himmel schon ganz nah“, und bedankt sich überschwänglich.
Herr B. - die Beatles und seine Beerdigung
»Wir hören gemeinsam Ihre Lieblingsmusik«
Herr B. ist sehr glücklich darüber, dass er am nächsten Tag zu seiner Frau ins Seniorenheim umziehen darf. Er schwärmt von seiner Lieblingsmusik, den Beatles. Also lauschen wir mit meiner Bosebox begeistert den Beatles und er schwelgt in alten Zeiten. Er erzählt von Konzerten, auf denen er war, von seiner Plattensammlung und davon, dass er das Stück „Imagine“ von John Lennon gerne auf seiner Beerdigung hören möchte. Diese Vorstellung gefällt ihm sichtlich, wobei er meint, dass er es selber wohl nicht mehr hören würde. Wir haben beide viel Freude und er bedankt sich nachdrücklich, dass ich bei ihm war. Er konnte in Erinnerungen schwelgen, „seine“ Musik genießen und die Vorstellung seiner Beerdigung teilen.